Zueignung

Skidurchquerungen sollten nur von Skialpinisten mit viel Erfahrung oder in Begleitung eines Bergführers gemacht werden! Wenn man sich nicht an diese goldene Regel hält, und wider Erwarten alles gut ausgeht, und man Jahre später auf die Unvernunft der Jugend zurückschaut, dann war das eine tolle Sache!


Annegret auf der Konkordiahütte Stefan und Holger, schon am Ende der Tour in Munster im Rhonetal
Annegret: Ihre Katzenliebe wird sie eines Tages auf der Oberaletschhütte noch bereuen! Stefan und Holger
Prolog

"Was schätzen Sie, wielange Sie bis zur Hollandia-Hütte brauchen werden?" Die taxierende Frage des schon etwas gesetzteren Anhängers des normalen Skilanglaufs ist durchaus berechtigt. Schliesslich ist es schon 13:30, und unser Aufbruch von Blatten zur ersten Etappe unserer Skidurchquerung des Berner Oberlandes entwickelt sich doch sehr verhalten. Für die zu erwartende 8-Stunden-Tour über den Langgletscher zur Hollandiahütte machen wir wohl auch einen etwas unerfahrenen Eindruck, was insofern auch nicht verwunderlich war, als das vollkommen den Tatsachen entspricht: Das Erfahrungsspektrum der Protagonisten reicht von zwei kleinen alpinen Halbtagesskitouren (Breithorn, Cima di Jazzi) bis zu gar keiner Erfahrung, aber viel Begeisterung, Literaturstudium und Ausrüstungskauf. Für die anstehende, mehrtägige hochalpine Skihochtour ist diese Vorbereitung durchaus ungenügend, zumal zum Ende März, unter der Woche bei ehr schlechter Wetterprognose auch nicht mit viel Alpinbetrieb anderer Enthusiasten zu rechnen ist.

Spaltenbergung am Riesenstein (Umlenkrolle by Jürgen Belz) Was macht man bei fehlender Erfahrung? Man simuliert, in diesem Fall Lawinensuche und Spaltenbergung. So geschah es ein paar Wochen vor dem großen Aufbruch, dass sich drei Möchtegerneskitouristen mit ihrem -gesamten verfügbaren?- Alpinmaterial am Riesenstein herumtrieben. Erst sah man einen den geliehenen Lawinenpiepser -damals hatten sie ihren Namen noch zu Recht- in dunklen Löchern verstecken, worauf sich bald die anderen, eifrig den Pieptönen lauschend, ehr weniger ziegerichtet durch das Unterholz dem dunklen Loch näherten, um am Ende nach erschreckend langer Suchzeit in triumphierendes Geheul auszubrechen. Später dann wurden seltsamste Seilkonstruktionen am Riesenstein II installiert, die einzig dazu dienten, mithilfe der bei Jürgen Belz gekauften Umlenkrolle ein bewegungsunwilles Opfer vom sicheren Boden auf die unsichere Felsplattform in einigen Metern Höhe zu heben.

Zurück zum Tag der Tat: Der verhaltene Aufbruch am frühen Nachmittag in Blatten hat durchaus seine Vorgeschichte. Die Fahrt ins Lötschental sollte planmäßig in Frutigen bei der Firma Fritschi unterbrochen werden. Der Fachverkäufer bei Sport Bredl war beim Verkauf der Ski der Meinung gewesen, dass die Skitourenausrüstung auch ohne Harscheisen komplett sei, und diese eventuell später -falls doch eventuell, wider Erwarten eimal Bedarf auftreten sollte- nachgekauft werden könnten. Der gute Mann wusste so manches nicht, insbesondere aber auch nicht, dass das zivile Modell der Fritschi-Militärbindung einer auslaufenden Modellreihe angehört, und eine Nachkaufgarantie vielleicht für Markenporzellan üblich ist, nicht aber für Alpinkrempel. Die letzte Hoffnung war da die Firma Fritschi in Frutigen. Morgens gegen acht Uhr standen wir bei Fritschi vor der Haustür, wurden dann freundlich verwiesen, und noch einmal verwiesen, landeten dann in der Entwickungswerkstatt, aber die "uralten" Harscheisen waren nicht mehr aufzutreiben. Evtuell könne der Sport-XYZ in Frutigen noch weiterhelfen. In einer Ersatzteilkiste mit kaputten Bindungen fanden sich dann die Harscheisen (mögen sie niemals verloren gehen!).

Und auf dem Parkplatz dann das nächste Fiasko: Stefan hat die Lawinenschaufeln in der Hektik des Aufbruchs um 4:00 nach verschlafenem Wecker zuhause liegen lassen. Also wieder rein in den Sport-XYZ. Aber bei Lawinenschaufeln ist er nicht so gut ausgestattet, nur eine schlappe Kunststoffschaufel wird beschafft. Weitere Sportgeschäfte auf dem Weg liegen in Kandersteg und nach einigem Hin und Her werden zwei superpropere, mittlerweile höchstbewährte Alu-Schaufeln gekauft.

In Kandersteg -das hier erstmals alpin auftretende Auto bleibt eine Woche dort- müssen wir eine knappe Stunde auf den Zug nach Goppenstein warten. Dabei wird schon eine Dose "Makrele in Öl" an der Bahnsteigkante geschlachtet. Das ist gut so, denn sonst hätten wir sie auch eine Woche mit herumgetragen. Der Plan sieht nämlich vollständige Selbstverpflegung vor. Das schont den studentisch schmalen Geldbeutel und, -seien wir doch mal ehrlich- alles andere wäre doch nicht krass genug. Die Rucksäcke sind demnach übervoll mit Ölsardinen, Speck und Knäckebrot.

Der Tour erster Tag: Blatten im Lötschental- Langgletscher - Hollandiahütte

Verdächtige Auf der Flucht in die Lötschenlücke Der Bus hat uns nach Blatten im hinteren Lötschental gebracht, in rekordverdächtiger halber Stunde wurden die Felle aufgezogen ... und schon gehts los! Zuerst beschauliches Dahinstapfen in der schönen Mittagssonne auf der Almstraße nach Fafleralp, dann erste Langeweile: Statt der Spur wird eine Variante durch den pappigen Neuschnee zum Gletschertor angelegt. Das ist eine landschaftlich schöne, aber nicht besonders zielführende Idee. Grässliche Stollen bilden sich an den Fellen und schon am Gletschertor sind alle fertig. Doch es sind erst knapp 700 Höhenmeter gemacht und gut 1000 müssen noch folgen. Da herrscht dann bald Heulen und Zähneklappern. Jetzt wird auch klar, woher der Langgletscher seinen Namen bekommen hat, alternativ wäre auch Hochgletscher in Frage gekommen. Im letzten Dämmerlicht und mit letzten Kräften kommen wir auf der Hollandiahütte an.

Der Tour zweiter und dritter Tag: Eingeschneit auf der Hollandiahütte

Doch die Dramaturgie meint es gut mit uns: An diesem Abend beginnt es zu schneien und am nächsten Tag ist nicht an ein Weitergehen zu denken, wozu wir körperlich auch nicht in der Lage gewesen wären. Die nächsten zwei Tage sind wir allein mit der Hüttenwirtin Regina auf der Hütte. In den Schlafpausen entspannt sich ein titanischer Zweikampf: Regina versucht, uns durch Apfelkuchenfolter -auf der Theke wird frischgebackener, wohlriechender Apfelkuchen angerichtet- von unserem Selbstversorgungsvorsatz abzubringen. Das gelingt zum Teil, aber nur über einige Grundsatzdiskussionen über den Preis von Teewasser, -beuteln und Zucker zur Finanzierung der Infrastruktur der Berge.

Am zweiten Tag sind wir so weit akklimatisiert, dass uns das schlechte Wetter nicht mehr vom Bau einer Schneehöhle abhalten kann. Als Biwakhöhle wäre das entstehende Riesenloch oberhalb der Hütte nicht zu gebrauchen gewesen (CO2-See), aber zur Simulation der Spaltenbergung aus einer Gletscherspalte tut es guten Dienst, immerhin ist es gute zwei Meter tief.

Der Tour vierter Tag: Hollandiahütte - Äbeni Flue - Konkordiaplatz - Konkordiahütte

Aufstieg zur Äbeni Flue
Noch kein Standardbild auf dem Gipfel der Äbeni Flue Doch am nächsten Tag ist das Wetter bestens, und die 30 cm Neuschnee (wo nicht abgeblasen) sind der Traum des Skialpinisten. Der Aufstieg zur Äbeni Flue ist flach, und auch die steilere Rinne kurz vor dem Gipfel stellt den Gipfelsieg nicht in Frage. Die Sicht ist leider nur dubios, und der weite Blick ins Mittelland ist für dieses Mal noch nicht offen.

Doch schlagartig wird die Bergidylle gestört: Ein Hubschrauber entlädt eine Horde von Heliskiern, die "unsere" unberührte Abfahrt verspuren. Uns ist es eigentlich ganz recht, seilfrei auf dem Gletscher abzufahren, ist anfangs etwas beängstigend, und die Spur eines Bergführers doch sehr beruhigend. Doch davor kam unser aller erste Tiefschneeabfahrt durch die steilere Rinne. Die Taktik "schnell durch" endete in einem formidablen Schneehaufen an der Stelle, in der der weiche Schnee der Rinne in den windverblasenen Teil mit Kruste übergeht. Nach dem schönen Zwischenstück kurz vor der Hütte dann noch mal höchste Gefahr: Wir alle hatten unsere Schneehöhle vergessen, und ein potentieller Sturz dort hinein durchzieht seitdem die Diskussion über diese Tour. Hoffentlich hat sich nicht eines Tages ein unbedarfter Heliskier den Hals darin gebrochen.

Nach dem letzten Hüttentee bei Regina dann der Aufbruch in Richtung Konkordiaplatz und Konkordiahütte. Mittlerweile ist es warm und sonnig, die Kilometer über den weiten Oberen Aletschfirn ziehen sich, und manch einer ist kurz vor dem Zusammenbruch wegen Überhitzung. Man ist schliesslich auf dem größten Gletscher Mitteleuropas, und jede Oma weiss, dass man sich da warm anziehen muss. Wir wissen es noch nicht besser.

Die Lage der Konkordiahütte hoch über dem Gletscher und die Hüttenleiter sind -beim ersten Mal- ein spektakuläres Erlebnis. Auf der Hütte sind wir zwar nicht ganz allein, in dem riesigen Berghotel kommt aber durchaus Einsamkeit auf.

Der Tour fünfter Tag: Konkordiahütte - Grünhornlücke - Fieschergletscher - Hinteres Fiescherhorn - Finsteraarhornhütte

Am nächsten Tag herrscht erst schlechtes, dann immer besseres Wetter, und die Grünhornlücke wird spielend genommen. Nach schöner Abfahrt stehen wir auf dem Fiescher-Gletscher, und ein lange im Verborgenen gehegter Plan wird ausgespielt: Besteigung des Hinteren Fiescherhorns. Dazu wird -ganz profimäßig- ein Skidepot mit Müllsäcken angelegt, in dem alles für den Gipfel Unnötige zurückgelassen wird: Schmutzige Wäsche, Ölsardinen, Speck, Brot, Steigeisen, Eispickel, .... Moment mal, braucht man keine Steigeisen und Eispickel für die Tour? You have to go reall light!

Die Aufstiegsspur läuft rechts vom Spaltenbruch (orographisch links) unter dem nicht 
sichtbaren Eisbruch entlang Gipfel des Fiescherhorns
Tatkraft am Berg Am Gipfel? Am Umkehrpunkt!

Die Aufstiegsspur verläuft leider etwas dem Eisschlag ausgesetzt, was zu fortgeschrittener Stunde (Mittagszeit) durchaus schon bedenklich ist und eine Protagonistin vor diesem Wagnis zurücktreten lässt. Der Rest zieht unbeirrt an den Seracs des Damokles vorbei und über Spalten hinweg. Kurz vor dem Gipfel muss noch eine waghalsige Harscheisen-Traverse oberhalb des Bergschrundes begangen werden. Hier rächt sich das Bestreben nach federleichten Rucksäcken, denn längst wären wir im gemütlichen Steigeisengelände gewesen, das sich bis zum Gipfel hinzieht. So -mit blossen Sohlen und ohne Pickel, in Unkenntnis des Gratgehens am kurzen Seil- kehren wir zehn Höhenmeter vor dem Gipfel um. Dennoch ist es ein tolles Erlebnis, es ist mittlerweile schon gegen 18:00, und eine milde Abendstimmung senkt sich über die Berge. So etwas erlebt man -zu Recht!- nicht häufig.

Blick vom Finsteraarhorn zur Aufstiegsroute Blick vom Hinteren Fiescherhorn auf das Aletschhorn
Erstmals auf gleicher Höhe mit den Höchsten Blick auf Mönch (links) und Fiescherhorn (rechts)

Die Abfahrt bringt oberhalb der Spaltenzone erstmals eine Ahnung des Powder-Gefühls hervor, dann wird krass über einige Spalten geschanzt, und dann bekommen wir doch einen Schreck: Die Aufstiegsspur ist von großen Eisbrocken verschüttet. In der Dämmerung gleiten wir über den Fiescherfirn, sammeln unser Materiadepot wieder ein und ereichen die Finsteraarhornhütte im letzten Licht.

Der Tour sechster Tag: Finsteraarhornhütte - Galmilücke - Heizwächte - Munster im Rhonetal

Dramatisches Bergwetter: 
Das Bild dient allein der Illustration, dieses Wetter herrschte auf der Haute Route. 
Das Wetter in der Galmilücke war zu schlecht zum Photographieren. Am nächsten Morgen: Schlechtes Wetter und vereister Hüttenhang. Annegret haut es an dessen Fuß bös in eine vereiste Schneegangel, doch das kann den Fortgang hin zur Galmilücke und Rhonetal nur unwesentlich hemmen. Ehr schon der dichte Nebel, der uns auf dem stark verspalteten Galmigletscher durch den Spaltenbruch irren lässt. Das Licht ist dermassen diffus, dass Geländeunebenheiten nicht zu erkennen sind und nur das Seil den Verlust des Vorausgehenden verhindert. In der Galmilücke macht dann der starke Wind die Situation nicht angenehmer, und die kurze Abseilaktion wird als Herausforderung ersten Ranges in die Alpingeschichte eingehen.

Die nachfolgende Abfahrt wäre bei gutem Wetter sicher sehr schön, so -vor den Zeiten von GPS- entwickelt sich eine schwierige Orientierungsaufgabe. Die Heizwächte wird nach Wiederaufstieg durch dubiosen Hang glücklich gefunden, der Gipfelwegweiser taucht wie von Geisterhand direkt vor den Ski aus dem Nebel. Die Abfahrt durch kupiertes Gelände ist in der Orientierung auch nicht einfacher, und den Sattel zwischen den Chastelhörnern finden wir nur nach einem Verhauer von 100 Höhenmetern. Doch mittlerweile ist das Rhonetal so nah, dass uns auch der nun schwer und pappig werdende Schnee bei mangelhafter Skitechnik nicht mehr langfristig schrecken kann. Kurzfristig schon: "Mit Euch gehe ich nie wieder auf Tour!" So ist es dann nicht gekommen.

Skitour ohne Schnee oberhalb von Munster Abschied in Munster