Pik Lenin 2000

Morgens um 4 Uhr klingelt der Wecker und es ist sehr dunkel. Heute ist unser Gipfeltag auf den wir zwei Wochen hingearbeitet haben. Es ist kalt. Mein Schlafsack ist mit Reif überzogen und steifer als normal. Die Zeltwände hängen stark durch, da unser Zelt komplett mit Neuschnee bedeckt ist. Auch das noch! Ich denke an die Arbeit die das Ausgraben des Zeltes mit sich bringt. Ausgerechnet in Lager III auf 6100 Metern Höhe muss das passieren.“Gunther, aufwachen!“, “Hey, Gipfeltag!“, “Aufstehen, wir müssen das Zelt ausgraben!“ Das Letzte hätte ich nicht sagen sollen. Statt des bisherigen unartikulierten Gebrummels schlägt Gunther nun vor, wir sollten doch noch etwas schlafen, wir könnten auch später aufstehen, ich solle mal etwas cooler sein. Erst bin ich fassungslos, dann ärgerlich, und nach einigen Minuten resigniere ich. Dann eben nicht! Heute ist unsere letzte Chance den Gipfel zu erreichen, den einzig möglichen Reservetag habe wir bereits gestern benötigt, um eine Lebensmittelvergiftung zu kurieren. Schade! Sehr schade! Kein Gipfel! Ich liege wach und denke über diese ganze Reise nach.

Robert hatte mich Anfang Juli erstmals gefragt, ob ich nicht Zeit und Lust hätte Ende August -in 6 Wochen!- eine Expedition nach Kyrgistan auf den Pik Lenin mitzumachen. Für die Doktorarbeit fehlt im Moment der rechte Schwung, das Privatleben lässt es zu, und nach drei Tagen sage ich zu. Verrückte Idee! Ich habe keine Erfahrung im Höhenbergsteigen, mein Wissen über Expeditionen stammt aus Jugendbüchern und in Zentralasien war ich auch noch nie. Genau deshalb mache ich mit, der Verbindung aus „Was Neues“, Jugendtraum und Zentralasien, einer „Traumreiseregion“ von der ich schon lange Freunden vorgeschwärmt hatte, wollte ich nicht widerstehen.

Die Vorbereitungen sind sehr turbulent, Gunther qualifiziert sich beim Besorgen der Visa und Tickets als Reiseagent für Unmögliches, in der Reiseliteratur wird dafür ein halbes Jahr vorgeschlagen. Häufig zweifle ich, ob die Expedition überhaupt stattfindet -die Ausrüstung ist schwierig zu bekommen-, besonders aber als Robert nun doch Bedenken bekommt, seine Frau drei Monate nach der Hochzeit für vier Wochen allein zu lassen. Was soll ich da als Trauzeuge der beiden raten?

Dennoch klappt das Wesentliche und wir treffen wir uns alle am 28.7. am späten Abend bei Gunther in Berlin. Das ist ein spannender Moment, da wir uns nicht kennen und nur über das Internet und Telefon Kontakt hatten. Moderne Zeiten! Verrückte Unternehmung! Die richtigen Begleiter sind beim Bergsteigen entscheidend. Von Gunther und Matthias bin ich beruhigt, mein Notfallplan -allein mit Robert das Ding durchzuziehen- muss nicht umgesetzt werden. Die Nacht bringt wenig Schlaf.

Den Flug von Berlin über Sankt Petersburg nach Almaty verdämmere ich, die Busfahrt nach Bishkek am folgenden Tag verschlafe ich trotz der exotischen Umgebung, am dritten Tag fliegen wir nach Osh. Wir treffen Marat Ainsanov, der die Expedition ab Osh organisiert. Damit ist der erste, selbstorganisierte Teil der Reise gut abgeschlossen. Häufig erscheint mir dabei alles unwirklich und wie im Traum, die Mischung aus verfallender Sovietgesellschaft und zentralasiatisch-orientalischem Treiben vor der unwirklichen Kulisse von 5000 Metern hohen Bergen hatte ich mir in keiner Weise so vorgestellt.

Marat ist ein Freund von Gunther. Er ist halb Russe, halb Kasache und lebt davon, für Touristen Abenteuerreisen in der ehemaligen Sovietunion zu organisieren. Marat hat alle nötigen Papiere besorgt, eine offizielle Einladung nach Kyrgistan, eine Aufenthaltsgenehmigung (OVIR-Registration), eine spezielle Aufenthaltsgenehmigung für das militärisch unruhige Alai-Tal an der Grenze zu Tadschikistan, eine Genehmigung zur Besteigung des Pik Lenin. Mit Marats Lada Niva geht die Fahrt durch die Ausläufer des Pamir-Gebirges ins Alai-Tal und zum Basislager. Als ziviler Mensch empfinde ich die erste Militärkontrolle meines Lebens als sehr spannend, dunkle Nacht, Schlagbaum, verwegen aussehende, aber gelangweilte Soldaten, die Dank einiger Zigarettenpäckchen freundlich bleiben. Die Straßen werden immer schlechter, einige Bäche müssen durchfahren werden, und als ich längst überzeugt bin, dass wir uns hoffnungslos verfranst haben, taucht unser Basislager im Scheinwerferlicht auf. Das Basislager besteht aus Tanja der Köchin, dem Küchenzelt und drei Zelten für je zwei Personen. Es ist klein.

Am nächsten Morgen bin ich überwältigt vom Panorama. Der Pik Lenin steht als riesengroßer, weißer Klotz unter einem strahlenden Himmel über der grünen Wiese. Die Nordwand ist über 3000 Meter hoch, höher als alle Wände der Alpen, höher als alles was ich bisher gesehen habe. Die Frage nach dem Sinn einer Bergbesteigung erscheint mir selbst sinnlos bei dieser Provokation an den Menschen. Bis hierher war mir die Besteigung des Berges nicht sehr wichtig, es war ehr die Reise als Gesamterfahrung die mich gereizt hat, aber bei dieser Situation ändern sich die Prioritäten. Ich nehme in den folgenden Tagen die Herausforderung bewusst an und beschließe, dass ich den Aufstieg schaffen werde. Der Wille, die gestellte Aufgabe erfolgreich zu beenden, liefert die Motivation für die Überwindung aller folgenden Strapazen, die weit über meine Befürchtungen hinausgehen. „Wenn ich schon hier bin, dann muss ich auch auf den Berg!“ Ich muss normalerweise eben nicht auf Berge steigen, ich bin nicht verbissen und meistens ganz locker, aber hier mache ich eine Ausnahme. Mir ist -auch schon zu der Zeit- die Gefahr dieser unrationalen Einstellung bewusst.

Ein Spaziergang zum Pass der Reisenden ist der Anfang unserer Akklimatisierung. Am darauffolgenden Tag gehen wir in Lager I auf 4500 Meter Höhe. Ich trödle bei der Rast am Pass der Reisenden herum und verliere im unübersichtlichen Gelände promt den Anschluss an die Gruppe. Der erstmalige Marsch über den flachen Talgletscher ist mir unheimlich, allein und unangeseilt wie ich bin. Zum Glück treffe ich die Italiener Andrea und ???, die wie alle seilfrei gehen. Mehrmals muss ich meinen schweren Rucksack vor Erschöpfung absetzen, das ist ungewöhnlich für mich. Es ist sehr anstrengend und mein Atem geht schnell. Am Abend beschließe ich, dass dieses wohl der anstrengendste Tag meines Lebens war. Das musste ich während der Expedition aber noch mehrfach revidieren. Das Lager I ist viel größer als ich es mir vorgestellt hatte. Etwa 50 Zelte sind auf einer Mittelmoräne des Gletschers auf eine Länge von 2 Kilometern verteilt. Überall liegt Müll, auch Klopapier und andere Zivilisationsutensilien sind häufig zwischen den Steinen zu sehen.

Ein Ruhetag soll uns fit machen für einen geplanten Aufstieg in Lager II. Wir alle aber kämpfen mit Verdauungsproblemen. Die exotischen Leckereinen aus den Teestuben von Osh haben unserem Magen-Darm-Trakt nicht gut getan. Dünnschiss ist und bleibt das Dauerthema in Lager I, auch bei den anderen Gruppen. So steigen wir dann wieder ins Basislager ab statt auf zu Lager II.

Bei guter Basislagerverpflegung entwickeln wir folgenden Plan: Ein Aufstieg bis 6000m und Einrichtung von Lager II und III. Dann Ausruhen in Lager I und zehn Tage später den Gipfelversuch. Unsere Zeit ist knapp bemessen, viele Reservetage stehen nicht zur Verfügung. Doch der Plan wird zur Makulatur: Robert hat Probleme mit der Lunge, Matthias zieht sich mit Gummibärchen eine Plombe heraus. Die beiden wollen in Tal zum Arzt, und so gruppieren wir um: Gunther und ich sind das eine Team das den beschlossenen Plan weiter verfolgt, und die anderen beiden versuchen uns einzuholen.

So trennen wir uns, Gunter und ich wandern auf Lager I. Dieses Mal sind wir schon deutlich schneller. Die Italiener Elena und Andrea bieten uns an auf Lager II ihr Zelt zu benutzen, das blaue Ferino neben dem Wasserloch. Wir nehmen dankend an, spart es uns doch drei Kilogramm Rucksackgewicht. Diese eigentlich doch recht genaue Beschreibung wird uns später noch manche Sorge bereiten.

Der Aufstieg zum Lager II wird wieder einmal zum anstrengendsten Tag meines Lebens. Anfangs ist der Gletscher noch recht flach, ich benutze erstmals die Tourenski. Aber dann kommt die "Krawatte", eine steile, spaltenfreie Zone im Eisbruch. Hundert Höhenmeter müssen mühsamst erstiegen werden, dann queren wir noch einige grosse Spalten. Dabei muss ich die Ski tragen. Nach den ersten 300 Höhenmetern kann ich schon nicht mehr. Auch Gunther ist nicht fit, er kämpft noch mit der Verdauung. Bei strahlendem Sonnenschein wird es sehr heiss und wir kommen nur langsam voran. Ich nutze jede Möglichkeit eine Pause herauszuschinden.

Bei Ankunft in Lager II sind wir beide < ALIGN=LEFT>Ski, Krawatte, Spalten, Eispickel-Hauser

Lager II, Wasserloch, falsches Zelt

Rastelnaja, Schneehöhle, Kocher

Skiabfahrt, Begegnung, Krawatte

Trennung, Abstieg, unwirkliches Licht, Sauna, HARH roter Mond

Tanjas Essen, Dunja, Lager

Aufstieg hinter den andren her 14. statt 13.

Entdeckung: falsches Zelt

Rastelnaja: superanstregend

Lager III Zelt Eingraben, Treffen, Lebensmittelvergiftung, Robert sauer,