Segeln in Schweden 1999

Segeln ist auch ein schönes Hobby, und im Gegensatz zum Alpinismus auch so erholsam! Anfang April 1999 sitzen Jürgen, Michael und ich im Thanner - und es ist überhaupt ein lustiger Abend, wir faseln von blauen Elefanten und ich verschütte einen meiner Havannas auf meine nette Zufallsnachbarin-, und im Eifer der Unterhaltung beschließen wir, mal wieder Segeln zu gehen. Nicht schon wieder Kroatien! Nein, nicht nach Südfrankreich! Griechenland ist so teuer! Man müßte mal in der Ostsee, oder sogar auf der Nordsee segeln! Und so kommen wir auf die schwedische Westküste. Die Schärenküste habe ich aus den Familienurlauben in Skandinavien noch in guter Erinnerung, im Sinne von: Da müßte man mal für längere Zeit hinfahren. Der anvisierte Termin ist die Woche Ende Mai. Und mit solcherart feuchten Träumen beschließen wir den feuchtfröhlichen Abend.

In den nächsten Tagen nutzen wir zum ersten Mal das Internet zur Planung eines Segeltörns. Die Charteragenturen werden mit Mails bombardiert, diese geben das dann an schwedische Agenturen weiter, und nach wenigen Tagen ist unser Wunsch in der Szene bekannt! Wir bekommen dafür aber auch viel Information zurück, und die Preisverhandlung ist um so einfacher. Unser Boot ist eine Maxi 99, schon sehr alt (1976), aber angeblich in gutem Zustand, besonders aber mit neuer Besegelung. Das stimmt dann auch, aber die Ungewißheit bis zur Bootsübergabe nagt mir doch etwas an den Nerven.

Wieder einmal ist das Hauptproblem das Zusammenstellen der Mannschaft, manch einer und eine hat Interesse - Anna sagt erst ganz kurz vor dem letztmöglichen Termin ab - aber am Ende sind wir doch wieder vier Männer, Jürgens Studienfreund Oliver ist unser vierter Mann. Ich bin froh, daß Jürgen den größten Teil der Organisation auf sich nimmt, die Detailarbeit beim Preisvergleich liegt mir nicht. Der besondere Clou der Reise ist, daß die Nachtfähre von Kiel nach Göteborg uns erholt direkt vor das Boot bringt, und der Urlaub auch derart erholt endet.

Morgens früh geht es mit einem Mietwagen von Heidelberg los, die erste Etappe führt uns zu Oliver und seinen Eltern aufs platte Land in die Nähe von Braunschweig. Jürgen hat uns die ganze Fahrt über von dem guten Essen vorgeschwärmt, das uns da mit Sicherheit erwartet, und er hat damit nicht übertrieben. So gestärkt fahren wir zu viert weiter, es ist etwas eng, aber bis Kiel ist es auch nicht mehr so weit. Wir sind dicke zu früh, das Einchecken ist einfach, erholt steigen wir auf die Fähre, und noch erholter kommen wir den darauf folgenden Tag in Göteborg an, eingedeckt mit jeder Menge Dosenbier aus dem Duty-Free-Shop.

Ein Taxifahrer nimmt einen astronomischen Fixpreis für die kurze Strecke zum Bahnhof, auf der Rückfahrt sind wir schlauer, lassen das Taxameter laufen, und kommen auf einen ähnlichen Betrag: Schweden ist teuer!-, aber mit unserem Gepäck ist Laufen keine Alternative. Ein Vorortzug bring uns ins nahe Stenungsund, und von dort werden wir mit dem Auto zu unserer Maria nach Almösund gefahren. Jedes Mal bin ich wieder froh, wenn die Anreise geklappt hat. Natürlich ist die Spannung groß, wie unser Boot aussieht, aber es ist noch gar nicht da! Am Nachmittag übernehmen wir dann die "Layback" im fliegenden Wechsel von der Crew vor uns, es ist in gutem Zustand, aber die Sicherheitsausstattung ist sehr schmal: keine Rettungsinsel, kein Funk, kein festes Steckschott der Achterkajüte: Ehr ein Küstenboot, denn eines für den Skagerak. Auch auf Bequemlichkeit legt man keinen großen Wert: Die übliche Bootsausstattung hat sich in 25 Jahren doch erheblich verbessert, und ich bin froh, daß wir alle anspruchslose Männer sind. Zur Steigerung des Abenteuerwertes mieten wir auch noch ein Dinghi, in den Schären wird es sich bewähren.

Ich mag es, mit der Boots- und Sicherheitseinweisung eine erste kleine Ausfahrt zu verbinden, der leichte Wind ist ideal für diesen Zweck: Bis zur beginnenden Dunkelheit werden alle Manöver ein paar Mal gemacht bis sie sitzen, nur mit dem Rückwärtsfahren will es nichts werden: Jedes Mal bricht das Boot nach kurzer Strecke aus dem Geradeauslauf aus, ein gezieltes Anfahren einer Tonne will partout nicht gelingen. Solches Verhalten kannte ich nur aus Büchern, meine bisherigen Boote lagen auch rückwärts immer gut auf dem Ruder. Wie gut, daß im Norden immer mit dem Bug voraus angelegt wird, römisch-katholisch wäre mit dieser Maxi 99 schwer möglich. Aber wenn man sich erst einmal daran gewöhnt hat, daß es keinen Rückwärtsgang gibt, geht alles auch vorwärts. Das erste ernsthafte Manöver ist das Anlegen in unser Maria, und es klappt nur so mäßig gut - ehr schlecht!, aber es gibt keine ernsthaften Schrammen.

Jürgen S.: Der Ko-Skipper für kitzlige Durchfahrten!

Am nächsten Tag ist der Himmel bedeckt, dafür gibt es einen brauchbaren Wind -aus Westen, wie immer! Wir kreuzen uns -in den engen Sunden teilweise mit Motorhilfe- durch den engen Skapesund und den hübschen Stigfjord zwischen den Inseln Orust und Tjörn bis zum offenen Meer. Mittags ankern wir in einer Bucht, Jürgens Küstenhandbuch bewährt sich das erste Mal. Während die anderen einen Landgang machen, bleibe ich an Bord, mein Vertrauen zum Anker muß jeden Urlaub erst einmal wieder wachsen, aber diesem Telleranker konnte ich bis zum Schluß nichts abgewinnen.

Frage: Wer ist die Person im gelben Fleece in der Plicht?

Am späten Nachmittag legen wir im leeren Hafen von Käringön an, außer uns gibt es nur noch ein weiteres Boot. Jürgens Anlegen an der Mooringtonne mit Treibenlassen bis an den Steg klappt perfekt. Sein Kommentar: ... ein Maneuverschluck muß jetzt einfach sein! Da kann ich nicht widersprechen.

Segel vorschriftmässig in die Persenning eingewickelt!

Der Ort Käringön füllt fast die gesamte Insel aus, es gibt nur wenige, windschiefe Bäume. Dafür gibt es manchen malerischen Blick über die roten Holzhäuser auf das Meer und den grauen Himmel. Unsere Pläne für den nächsten Morgen sind nicht von schlechten Eltern: Überfahrt nach Skagen! Ein Jugendtraum würde damit in Erfüllung gehen, der Jachthafen von Skagen mit all den vielen Maxi 77 war immer ein Höhepunkt der Dänemarkurlaube mit den Großeltern.

Käringön: typische Aussenschäre

Doch es wird nichts aus dem Traum: Erst kommen wir schwer aus den Federn, dann begegnet uns noch innerhalb der Schärengewässer ein Traditionssegler, für den wir einen weiten Bogen segeln, um auf seine photographische Schokoladenseite zu kommen. Dann dauert das Aufkreuzen eines engen Fahrwassers südlich von Käringön gegen den frischen Wind viel länger als gedacht - spektakulär schauen auf beiden Seiten umbrandete Felsenriffe aus dem Meer-, ja und dann -endlich außerhalb der Schären- stellt sich heraus, daß die Mannschaft doch nicht so hundertprozentig seefest ist. Mit dem langen Schlag nach Norden endet mittags in Smögen auch schon unser kühner Versuch einer Skageraküberquerung. Dennoch war dieser halbe Tag ein seglerisches Highlight, Segeln im Norden ist atmosphärisch doch anders als im Mittelmeer: Der Himmel hängt tiefer, das Meer ist grau und nicht blau, der Geruch ist intensiver, auch die kältere Umgebung paßt besser zu den Vorstellungen vom rauhen Meer. Einige Seemeilen vor der Küste sind die flachen Schären nur noch schwer zu unterscheiden, viele verschwinden bereits hinter dem Horizont.

Sündenmeile? Hier? Oder verbirgt sich die Sünde bei Tag in den Häuschen?

Auch der Hafen von Smögen ist leer, in der Hauptsaison findet ein Boot dort nur noch schwer Platz, nach dem Tankmanöver am Ortseingang können wir uns den Luxus erlauben, am Kai im Zentrum des Ortes längsseits zu gehen. Der Ort bietet außer seinem sehr malerischen Hafensund nicht viel, von der im Hafenhadbuch angekündigten Sündenmeile kann nun wirklich keine Rede sein, ein erster Einkauf vervollständigt unseren Proviant, und leert unsere Bordkasse.

Schären vor Smögen Liebr Kabelfähren als Hobby, als gar keins!

Den Nachmittag nutzen wir noch zur Erkundung der kleinen Schären südlich von Smögen, man kann dort direkt an den Schären anlegen. Mir ist das etwas zu kitzlig, nach einem umständlichen Manöver liegen wir statt dessen zwischen Landleine und Heckanker. Beim An-Land-Gehen fröne ich mal wieder meinem Hobby, und wir errichten mit dem Dingi eine Kabelfähre zwischen Land und Boot. Guidos Kommentare in Griechenland waren bissiger. Leider finden wir das in der Karte angegebene Wrack nicht mehr, aber die Unterwasserwelt der Felsenküste ist auch so immer wieder einen Ausflug wert. Später grillen wir auf den Felsen die mitgebrachten Würste am Feuer, das Bier aus Deutschland schmeckt dazu ausgezeichnet.

Das schlecht durchdachte, aber Dank des Bieres desto schwungvollere Ablegemanöver mißlingt gründlich, der Heckanker ist nicht freigekommen, dafür liegt die Ankerleine jetzt zwischen Kiel und Ruderfinne, und wir irgendwie quer in dem engen Sund! Nach ein paar Minuten Aufregung löst sich das Problem wie durch ein Wunder von allein, der Anker ist frei, Schaden hat es nicht gegeben, aber mir wird es hoffentlich eine Lehre sein, das Ablegemanöver schon vor dem Ablegebier zu durchdenken. Wenn in der Planung auch schon die Worte schnell oder zügig vorkommen, sollte das Manöver vielleicht doch noch mal überdacht werden. Das Anlegen in Smögen ist schon Routine. Die offene Dusche am Ortsende verhilft uns nach dem Lagerfeuer wieder zu einem zivilisierteren Geruch.

Beim Schärensegeln immer den Finger auf der Karte lassen, 

sonst weiss man wenig später nicht mehr, wo man gerade ist! 

Auf der Karte und in der Natur gleicht ein Felsen dem anderen.

Der nächste Tag bringt dann Schärensegeln wie im Bilderbuch: Die Route südwärts durch die Schäreninnengewässer hat alles, was man sich so unter Schärensegeln vorstellt: Enge Sunde, Orte, die statt Strassen nur eine Wasseranbindung haben, Schwierigkeiten mit der Orientierung zwischen den vielen Buckeln, Riffen, Felsen, Pricken, Tonnen, bemalten Steinen, ruhiges Wasser das die Mägen beruhigt, und am Abend eine verträumte Bucht ab von der Welt südlich von Lysekil.

Doch unser Tatendrang ist für diesen Tag noch nicht gestillt, wir legen noch eine kleine Extrarunde ein: Es gibt ein sehr enges und sehr flaches Fahrwasser in einem Inlandssund, durch das wir laut Handbuch so gerade eben passen müßten. Also probieren wir es. Mit dem Seekajak wäre es auch schon eng, aber mit unserer Zehnmeteryacht ist es noch um einiges spannender. Mit minimaler Fahrt schleichen wir an idyllischen Bauernhöfen vorbei, immer mit 1 1/2 Augen auf dem Tiefenmesser. Abends ankern wir vor Bug und Heckanker, eine zusätzliche Landleine dient dazu, uns noch weiter in eine kleine und flache Seitenbucht zu verholen. Nachts frischt der Wind deutlich auf und ich fange an, der Haltekraft des kleinen Tellerankers im schlammigen Untergrund zu mißtrauen, aber das Mißtrauen stellt sich am nächsten Morgen als unnötig heraus: Es ist nicht einfach, den Anker überhaupt aus dem schweren Grund zu bekommen.

Und weiter geht die Fahrt durch die Innengewässer. Vor Mollösund begegnen wir unter Segeln einem Traditionssegelschiff in einer engen und flachen Rinne, aber mittlerweile sind wir so einiges gewöhnt. Unser Ziel für den Abend ist klar: Wir müssen so einen Platz finden, daß wir am nächsten Tag die Livecam besuchen können, die um 12:00 Uhr jeden Tag ein Bild im Internet abspeichert. Dieser Termin ist der Fixpunkt des ganzen Törns, die Livecam war von Heidelberg aus unser Hauptinformationsmedium über das lokale Wetter gewesen. Die große Bucht auf der Westseite der Insel Tjörn (Breeviks Kille) stellt sich als ziemlich einsam heraus, es ist nicht möglich mit unserem Dickschiff weit in sie einzufahren, da sie sehr flach ist, und mit dem vielen Schlick ehr einem Watt gleicht. An der Landzunge, die der Kamera am nächsten ist, gibt es auch keine geschütze Bucht, der nächstbeste Platz ist ein heruntergekommener Anlegesteg auf der Nordseite, in unserem Sprachgebrauch bald der verlassene Hafen genannt. Vorsichtig nähern w ir uns -den Tiefenmesser immer genau studierend- dem Kai, aber es gibt viel freies Wasser, kein Problem auch ohne detaillierte Hafenskizze dieses Fleckchens.

Am Abend machen Jürgen und ich mit dem Schlauchboot eine erste Exkursion zu unserer Halbinsel. Das Paddeln macht richtig Spaß, es weht fast kein Wind, spielende Seehunde machen Wellenkreise, und die spät untergehende Sonne taucht alles in ein malerisch weiches Licht. Wir finden eine gute Bucht zum Anlegen, und daran anschließend einen Fahrweg, der in Richtung unserer Kamera geht. Damit lassen wir es gut sein, und kehren zum Schiff zurück. Ich muß wieder einmal meinem Jagd- und Sammeltrieb Tribut zollen: Es gibt sehr große Miesmuscheln, anscheinend noch niemals geerntet. Am nächsten Tag erklärt dann eine Schautafel, daß diese Bucht ein Meeresschutzgebiet ist, und das Muschelnsammeln verboten ist. Zu recht! Hinterher ist mir peinlich, hier geplündert zu haben, aber die Muscheln waren tatsächlich Weltklasse!

Am nächsten Morgen steigt unsere große Expedition zur Internetkamera. Es weht ein stärkerer Wind, und die Überfahrt zu viert im Schlauchboot über den fünfhundert Meter breiten Sund ist damit gar nicht mehr so einfach. Wir legen daher doch an anderer Stelle an, nur eine Klippe vor einem niedrigen Kliff ist unsere Anlegestelle, nasse Füße eingeschlossen. Anfangs ist es leicht, dem gefundenen Fahrweg zu folgen, wir müssen erst den engen Hals der Halbinsel erreichen. Aber dann beginnt Neuland: Den genauen Standort der Kamera wissen wir nicht, und müssen ihn aus dem sich uns bietenden Anblick erschließen. So verpassen wir den direkten Weg, und mühsam kraxeln wir durch südschwedischen Klippenwald, jeden Ausblick nutzend, um unsere Position zu überprüfen. Mittlerweile wird auch die Zeit knapp, im unwegsamen Gelände geht es nur langsam vorwärts. Doch von einem Ausguck aus können wir die richtigen Häuschen identifizieren, ein abgestelltes Boot gibt uns letzte Sicherheit. Zehn vor Zwölf -also rechtzeitig!- sind wir an der richtigen Stelle vor dem im Bild sichtbaren Boot, aber die Kamera selber entdecken wir nicht. Jetzt vergeht die Zeit mit einem Mal viel langsamer, wir wissen nicht genau, wann die Kamera genau aufnimmt, also posieren wir eine Minute lang vor dem blauen Boot.

Zuhause dann der Triumph: Geschafft! Wir vier im Internet, unser Segeltörn ist dokumentiert. Der Rückweg zum Schlauchboot ist viel einfacher, es gibt einen Weg am Wasser entlang, hier weisen Schilder die Halbinsel als Schutzgebiet aus. Das Paddeln gegen den frischen Wind zu unserem Boot ist schwere Arbeit.

Bei dem guten Wetter wollen wir noch weiter, ich entwerfe ein langwieriges, aber kontrolliertes Ablegemanöver mit Hilfe vieler Leinen, das Ablegen in der Ankerbucht bei Smögen ist mir noch in zu guter -zu schlechter!- Erinnerung. Aber es geht dann ganz einfach, so muß ich den Spott meiner Crew über mich ergehen lassen.

Es ist tolles Segelwetter: Es weht ein frischer Westwind, und dabei scheint die Sonne vom klaren Nachmittagshimmel. Die Unterwasserklippen sind gut durch darüber stehende Schaumköpfe markiert, und so ist das Finden des unbezeichneten Fahrwassers auf das offene Meer hinaus -Wir sind der Innenfahrwasser müde!- einfach. Zum ersten Mal auf diesem Törn habe ich Ruhe und fläze mich auf dem Vordeck. Gegenan gegen die Wellen, nur mäßig hart am Wind, so macht Segeln den meisten Spaß. Wir überlegen, wohin wir diesen Tag noch wollen, und entscheiden uns für Marstrand, das Segelmecka Schwedens. So kommen wir doch noch zu einer komplizierten Einfahrt durch ein Inselgewirr in den großen Hakefjord. Hierhin glücklich durchgekommen -das erste und letzte Mal auf dem Törn haben wir beim Kreuzen zwischen den Klippen für einige Minuten die Orientierung verloren-, frischt der Wind nochmals etwas auf. Wir lassen alle Segel stehen, und die Schräglage steigert sich immer weiter. So muß Segeln sein, vom Abendlicht bestrahlt rauscht das Wasser am Kajütfenster vorbei. Eine kleine Regatta gegen ein schwedisches Boot verlieren wir deutlich, unsere Maxi ist kein Renner, aber trotzdem ist sie sehr schön zu segeln. Nie habe ich das beunruhigende Gefühl wie bei den übertakelten Mittelmeerbooten, ein Windstoß könnte uns kentern lassen.

Mein Ehrgeiz verlangt, daß wir in die Hafenbucht von Marstrand unter Segeln einlaufen, das Aufkreuzen zur westlichen Einfahrt kostet uns eine gute Stunde, und meine Mitsegler machen mich dafür verantwortlich, daß wir die Duschen im Hafen nur geschlossen vorfinden. Das Anlegen selber ist gar nicht einfach, der Hafen ist voller Boote, alle Moorings sind besetzt, und so werfen wir statt dessen einen Heckanker, Griechenlandsegler sind da gar nicht zimperlich, keine Ankerwooling kann sie abschrecken "You have to make patents!". So liegen wir dann bestens geschützt zwischen den Booten an ihren Moorings und der Kaimauer.

Marstrand ist eine kleine Museumsstadt, die alten Jarhundertwendehäuser sind liebevoll restauriert, über dem Ort thront die Festung aus dem 18. Jahrhundert. Ein Spaziergang erschließt uns die malerischen Blicke, den Besuch des Festungsmuseums und des Turms sparen wir uns wegen des überzogenen Eintrittspreises. Der Blick vom Turm wird auch nicht viel besser sein als der von der Festungsmauer.

Beim Ablegen erleben wir eine böse Überraschung: Der Anker ist unklar, vermutlich hat er sich in einer der Mooringketten verfangen. Hilflos hängen wir fest, glücklicherweise treibt uns der Wind genau parallel zur Hafenausfahrt. Doch nach einer bangen Minute -ich befürchte schon, daß einer von uns im kalten und trüben Hafenwasser tauchen muß- löst sich alles wie von selber.

Unser Tagesprogramm ist zweigeteilt, morgens noch etwas Segeln zum Spaß in der Bucht von Marstrand, nachmittags dann ab nach Hause in die Heimatmarina nach Almösund. Doch unser Segeln aus Spaß gerät härter als gedacht: Das Ziel ist der Leuchtturm von Hätteberget, das wichtige Ansteuerungsfeuer vom Skagerak in den Hakefjord. Erst ist alles reine Segelfreude, doch je weiter wir aus dem Schutz der Bucht herauskommen, desto höher werden auch die Wellen, und der Wind frischt auch immer weiter auf. Jürgen bemerkt zuerst, daß wir noch nicht einmal Lifebelts tragen, und der Mißstand wird dann auch abgestellt. Ich hätte mir da auch Ölzeug anziehen sollen, doch so friere ich in den nächsten Stunden kräftig durch. Der Leuchtturm kommt immer näher, es sind nur noch wenige hundert Meter bis zum selbstgesteckten Ziel, doch es wird auch immer härter: Wir nähern uns der Flachstelle, auf die der Leuchtturm gebaut wurde, und der aus dem offenen Skagerak kommende Wellengang wird unruhiger, höher und steiler, eine Tendenz zum Brechen kommt auch dazu. Meine Mitsegler hängen etwas in den Seilen, schon seit längerem stehe ich am Steuer. Da kommt eine Welle auf uns zu, wie ich sie bis dahin noch nicht erlebt habe: bestimmt vier Meter hoch, dunkelgrün, steil wie eine Wand, oben schon weiß beschäumt. Nur jetzt nicht vollschlagen, oder gar querschlagen, die Achterkajüte läßt sich nicht wirksam abschotten, eine größere Wasserübernahme könnte sogar gefährlich werden. Doch die Maxi ist ein gutes Schiff, wir klettern auf den Kopf der Welle, die aktuelle Gefahr ist gebannt. So gewarnt verzichten auf die Umrundung von Hätteberget, und segeln nach hause. Doch wie? Wir haben viel zu viel Segelfläche oben, um einfach vor dem Wind ablaufen zu können, ein Reffmanöver ist auch nicht ganz ohne bei dem Wellengang und einer angeschlagenen Mannschaft. Es bleibt nur das schon vor Syros angewandte Rezept des Quer-zu-den-Wellen-Segelns. Kleinere Wellen dürfen dabei von schräg achtern durchrauschen, während die größeren durch Anluven ausgesegelt werden. Wenn es nur nicht so kalt wäre, würde das auch Spaß machen. Schon nach einer Viertelstunde kommen wir unter Land der ersten kleinen Inselchen, und das nimmt den Wellen ihre Kraft. Vor dem Wind, aber durchgefroren rauschen wir in die Bucht von Marstrand ein. Hier wollen wir in der geschützen, schmalen Einfahrt reffen. Doch beim Manöverkreis vor der Hafenpromenade unterläuft mir eine Patenthalse, im Segelmecka so ein Anfängerfehler, wie peinlich! Das Segeln mit starkem achterlichem Wind den Hakefjord hinauf könnte so schön sein, die Landschaft fliegt förmlich vorbei, wenn es nicht so kalt geworden wäre, und dann fängt es auch noch an zu nieseln. Fröstelnd legen wir die letzten Seemeilen zurück. Wieder zuhause! Das Tanken -viel sind wir nicht unter Motor gefahren- beendet den Törn. Unser letztes Anlegemanöver ist dann eine Demonstration der einwöchigen Erfahrung mit dem Boot, ganz im Gegensatz zum Anlegemanöver am ersten Tag klappt es perfekt, der Schwung ist richtig geschätzt, so daß er uns schön in die Box führt. Jedes Mal bin ich froh, wenn die Leinen zum letzten Mal festgemacht werden, und wieder einmal alles gut und ohne Schaden gegangen ist. Die gebrochene Schweißnaht der Leiter zum Niedergang haben wir nicht zu vertreten, mehr ist nicht kaputt, so bekommen wir dann auch die volle Kaution zurück.

In der einen Woche haben wir nach Logge 157 sm zurückgelegt, keine Rekorddistanz, aber doch ganz ordentlich. Und es war noch nicht einmal eine Nachtfahrt dabei, und auch ohne Nachtanlegemaneuver gar nicht langweilig.

Die Rückfahrt nach Deutschland läuft genauso wie die Hinfahrt: Der Vorortzug bringt uns nach Göteborg, den Nachmittag nutzen wir mit einem Spaziergang. Ich kaufe die Ken-Single mit dem Lied, das dauernd im Radio gespielt wurde, und das wir zum Schluß schon immer begeistert begrüßten. In Deutschland habe ich dann aber nur wenige Fans dafür gewonnen. Die Nachtfahrt mit der Fähre nach Kiel ist ein schönes Erlebnis: Es ist nahezu windstill und die Luft ist warm, es wäre die ideale Nacht für eine Überfahrt nach Skagen gewesen: Das nächste Mal! Vom erhöhten Deck aus ist gut zu sehen, daß es eine regelrechte Strasse durch das Kattegat gibt, gut betonnt und beleuchtet, und vielbefahren. So kann man seine Lichterkenntnisse auffrischen: Das manövrierunfähige Zollboot, das Taucher nach unten geschickt hat, und dabei explosive Stoffe mitführt, ist wieder einmal nicht zu sehen, nur langweilige Frachtschiffe und Fischerboote.

In Kiel holen wir wieder einen Mietwagen, bei Olivers Eltern gibt es nochmals ein formidables Essen -nach der schmalen Bordküche freuen wir uns darauf schon seit Tagen-, und zu dritt kommen wir des Abends zurück nach Heidelberg.

Es lebe die Spontaneität, auch beim Segeln! Von der Idee bis zur Rückkehr nur acht Wochen, und dann auch noch solch einen abwechslungsreichen Törn: beste Segelbedingungen mit immer guten Winden, interessante Fahrwässer, einsame Buchten und belebte Städtchen, Abenteuer und Erholung: Es wird nicht mein letzter Segeltörn an Schwedens Ostküste gewesen sein.