Rückblick auf die Reise nach Kirgisien und die Besteigung des Pik Lenin

Spontan: Pik Lenin

Anfang Juni fragt mich Robert, ob ich nicht Lust hätte, im August -in 6 Wochen!- eine Expedition nach Kirgisien auf den Pik Lenin mitzumachen. Für die Doktorarbeit fehlt im Moment der rechte Schwung, das Privatleben lässt es zu, und nach drei Tagen sage ich zu. Verrückte Idee! Ich habe keine Erfahrung im Höhenbergsteigen, mein Wissen über Expeditionen stammt aus Jugendbüchern und in Zentralasien war ich auch noch nie. Genau deshalb mache ich mit, der Verbindung aus Was Neuem, Jugendtraum und Zentralasien, einer „Traumreiseregion“ von der ich schon lange Freunden vorgeschwärmt hatte, wollte ich nicht widerstehen.

Die Vorbereitungen sind sehr turbulent, Gunther qualifiziert sich beim Besorgen der Visa und Tickets als Reiseagent für Unmögliches, in der Reiseliteratur wird dafür ein halbes Jahr vorgeschlagen. Häufig zweifle ich, ob die Expedition überhaupt stattfindet -die Ausrüstung ist schwierig zu bekommen-, besonders aber als Robert nun doch Bedenken bekommt, seine Frau drei Monate nach der Hochzeit für vier Wochen allein zu lassen. Was soll ich da als Trauzeuge der beiden raten?

Reise nach Kirgisien und Besteigung des Pik Lenin

Ohne Zweifel ist die Reise nach Kirgisien und die Besteigung des Pik Lenin (7134 m) der Höhepunkt des Jahres. Ich kann hier nicht alles aufzählen was passiert ist, was mich wie getroffen hat, an was ich denken musste und was ich gelernt habe. Ich hatte schon angefangen, einen solchen Bericht zu schreiben, bin dann aber in der Mitte stecken geblieben. Einen guten Eindruck der Reise gibt Roberts Bericht http://www.xs4all.nl/~rlindner/saebaski.html wieder. Ich will im Folgenden nur kurz die wichtigsten Erlebnisse anreißen, solche, die in Roberts Bericht nicht richtig zur Geltung kommen, und besonders den Teil der Reise schilden, den ich allein gemacht habe.

Warum muss ich überhaupt auf diesen Berg? Ich bin normalerweise recht cool in den Bergen, der Gipfel an sich ist mir gar nicht so wichtig. Dieses Mal ist das anders: Der Pik Lenin steht als riesengroßer, weißer Klotz unter einem strahlenden Himmel über der grünen Wiese des Basislagers. Die Nordflanke ist über 3000 Meter hoch, höher als alle Wände der Alpen, höher als alles was ich bisher gesehen habe. Bis hierher war mir die Besteigung des Berges nicht sehr wichtig, es war ehr die Reise als Gesamterfahrung die mich gereizt hat, aber hier ändern sich die Prioritäten. Ich nehme in den folgenden Tagen die Herausforderung bewusst an und beschließe, dass ich den Aufstieg schaffen werde. Der Wille, die selbstgestellte Aufgabe erfolgreich zu beenden, -trotz der immer bewussten Sinnlosigkeit des Unternehmens- liefert die Motivation für die Überwindung aller folgenden Strapazen, die weit über meine Befürchtungen hinausgehen. Wenn ich schon unüberlegt hierher gelangt bin, dann muss ich auch auf den Berg, das allein gibt der Reise Sinn!“ Ich muss normalerweise eben nicht auf Berge steigen, ich bin nicht verbissen und meistens ganz locker, aber hier mache ich eine Ausnahme. Mir ist -auch schon zu der Zeit- die Gefahr dieser unrationalen Einstellung bewusst. Nur mit diesem Hintergrund kann unser Verhalten in Lager III und am Gipfeltag gesehen/verstanden werden.

Eine Expedition auf einen hohen Berg verläuft in Vielem so wie es in Filmen dargestellt wird: Es ist unglaublich anstrengend, viel anstrengender als ich es mir je ausgemalt habe! Es ist auch andauernd kalt, besonders an den Händen und den Füssen, ständige Sorge um Erfrierungen ist angebracht, leichte Erfrierungen an den Fingern habe ich dann doch bekommen, sind inzwischen aber vollständig abgeheilt.

In der Höhe werde ich ganz schlapp im Kopf: Meine wenigen Gedanken kreisen fast nur um Essen, Verdauen und Alpintechnisches wie die Ausrüstung, die Route und das Wetter. Von metaphysischen Höhenflügen war nie auch nur ein Ansatz zu spüren, die freie Zeit habe ich ganz überwiegend mit Herumdösen zugebracht. Mein Bergbegleiter Gunther -ein wirklich interessanter und netter Mensch!- ist mir in den 14 gemeinsam im Zelt verbrachten Tagen nicht wirklich näher gekommen. Da sieht man schon, wie matt mir dort der Kopf gewesen sein muss! ;-)

Und, wie ist es so in 7134 Metern Höhe? Doch es ist toll, und vom Gefühl her wirklich anders als hier in der dicken Luft. Ist es die Unterversorgung des Hirns mit Sauerstoff, ist es die viel stärker strahlende Sonne, die Anstrengung, die Ausschüttung von Glückshormonen beim Bestehen der Prüfung, der Schlafentzug? Eine euphorische Stimmung habe ich während des gesamten Gipfelaufstiegs, es ist schon auch eine Art von Rauschzustand. Diese Erfahrung möchte ich jetzt nicht mehr missen. Ich kann Leute verstehen, die das immer wieder haben wollen.

Die objektiven alpinen Gefahren sind am Pik Lenin ehr gering im Vergleich zu anderen Bergen der gleichen Grössenordnung. Trotzdem akkumulieren sich die alpinen Einzelgefahrenmomente ganz ordentlich: Jedes Jahr sterben dort Leute an Höhenkrankheit, sie fallen in Gletscherspalten, werden von Lawinen verschüttet, verirren sich in Nebel und Dunkelheit, erfrieren wegen mangelhafter Ausrüstung, es gibt niemanden der sie rettet,..., sie sterben aus Dummheit, aus Leichtsinn, aus Zufall, durch tragische Verstrickungen, aus mangelnder Kondition, aus Selbstüberschätzung. Die Todesquote ist im Vergleich zu anderen Bergen -auch Alpenbergen!- beruhigend klein, aber solch ein Unternehmen ist rein objektiv eben doch gefährlicher als ein Strandurlaub auf Mallorca.

Mir passiert auch so einiges:

  • Die Erfrierungen habe ich erwähnt.
  • Ein Äderchen im Sehzentrum des rechten Auges platzt (HARH). Wenn ich den Mond anschaue, dann erscheint er blutrot, die Sterne daneben sind normal. Tagsüber ist alles scharf zu sehen, eben bis auf das Detail, das ich fokussieren will. Eine gespenstische Stimmung! (Alles wieder ohne bleibende Narben abgeheilt!)
  • Beim Abstieg vom Gipfel sacke ich bis zur Brust in den -zum Glück!- engen Bergschrund, ein Seil hatten wir dort nicht mehr dabei.
  • Die Spur, die ich von Lager II nach unten gelegt habe wird einige Tage später von einem Eisfall verschüttet.
  • Eine Schneebrücke über eine Gletscherspalte bricht hinter mir ein, nachdem ich mit Skien darüber gefahren bin.
  • Bei der Abfahrt durch die Krawatte -das steilste Stück des Gletscherbruches- löse ich eine Neuschneelawine aus, aber bei dem wenigen Schnee ist das nicht schlimm, ehr interessant.
Das sind alles an und für sich harmlose Vorfälle -manche waren nicht mal des Erzählens wert- die eben auch die Spannung und den abenteuerlichen Reiz einer solchen Tour ausmachen, aber im Laufe der fast drei Wochen die wir am Berg zubringen wird mir die ständige Bedrohung immer bewusster. Der glücklichste Moment war mit Sicherheit nicht das Erreichen des Gipfels, ehr schon der Beginn des Abstiegs vom Gipfel, das Zurückkommen ins Lager III, oder am nächsten Abend das Erreichen von Lager I, also dem Verlassen der Nordflanke. Oder eben doch die Party im Basislager 22 Stunden nach dem Zurückkommen: Das erste Mal nach drei Wochen wieder Wärme, Musik, Alkohol, Frauen ..., das waren Momente des vollkommenen Glückes. Die Zemphira-CD muss ich nur in den CD-Spieler einlegen, und schon verfliegt in der Erinnerung an diese Stunden jedes momentane Übel.

Aber die Reise war auch landeskundlich sehr interessant: Es ist meine erste Reise in die ehemalige Sowietunion. Ich bin über den Zerfall auf allen Gebieten entsetzt. Arbeitende Industrie ist nicht zu sehen, Baustellen gibt es nicht, Farbe blättert ab, Denkmäler werden nicht gepflegt und verfallen, viele Menschen (Deutsche, Russen) ziehen in ihre Stammländer. Es bleibt eine Rumpfgesellschaft die die Errungenschaften der Sowietunion langsam aufbraucht. Daher liegt auch gesellschaftlich vieles im Argen: Die Kriminalität steigt rapide (Bei einem Einbruch wird mir mein ganzes Großgeld gestohlen.), Drogenkonsum ist häufig (angeblich ist jede dritte Familie in Alma-Ata betroffen, ich finde Spritzen im Straßengraben), die Polizei ist auch keine Hilfe wie bei uns.

Ich hatte geplant, nach dem alpinen Teil der Reise noch einige Tage in der Gegend zu bleiben, um auf eigene Faust Land und Leute kennenzulernen. Aber ich bin doch recht ausgezehrt, auch die Erfrierungen zweiten Grades an drei Fingern der rechten Hand (große Blasen, nur schwache Durchblutung des Gewebes, Gefahr von Entzündungen) veranlassen mich, die Reise abzukürzen. Aber es geht nicht! Ich schaffe es nicht, mein Transitvisum für Kasachstan ändern zu lassen. Zuletzt heuere ich sogar einen Agenten an, mir dabei zu helfen, aber es klappt nicht, auch an Bakschisch wäre es nicht gescheitert. Also bleibt mir nichts übrig, als den ursprünglichen Plan weiterzuverfolgen, aber in einer erholsameren Variante. Ein lokaler Arzt begutachtet meine Erfrierungen und befindet sie für ungefährlich, verschreibt mir durchblutungsfördernde Mittel (ein Teufelszeug, nach der Einnahme kribbelt mir immer der Magen, und ich werde ganz fahrig.). Das Medikament dann auch zu bekommen ist schwer, die ersten drei Apotheken haben es nicht, dafür ist es dann später spottbillig.

Ich erkundige mich, wo man sich in Kirgisien am besten erholen kann. Wie es auch der Lonely Planet angibt, ist das eine Gegend 300 km östlich von Biskek, der Kurort Tscholpon-Ata am Ufer des größten Sees der Gegend (Issyk-Kyl). Die Fahrt dahin klappt prima, ich bin die Attraktion in dem Kleinbus, mehrmals muss ich meine Reise erzählen - ich kann gar kein Russisch, aber es geht dann doch. In Tscholpon-Ata habe ich viel Glück beim Finden der Pension: Am Busbahnhof komme ich mit Kindern ins Gespräch, und wir werden uns gleich handelseinig, dass ich in ihrem Haus bleiben kann. Das Haus ist sauber, das Essen -anfangs- reichlich, aber ich bin entsetzt über den ärmlichen Lebensstandard der Familie Ivakova. Die Mutter Sabira (Mitte dreißig) ist Witwe, sie verdient etwa zehn Mark im Monat als Ökonomista -was das auch immer ist, aber so eine Art Studium ist nötig. Davon müssen auch die drei Kinder Kia (14), Tscholpon (12) und Asim (5) mit durchgefüttert werden. Die beiden Mädchen haben den Haushalt schon perfekt im Griff, Asim ist der Herr im Haus und entsprechend gebärdet er sich auch.

In Tscholpon-Ata kann man nicht viel machen, man kann am Sandstrand liegen und ab und zu im leicht salzigen, sehr klaren und erstaunlich warmen Wasser baden, oder im nahen Gebirge wandern. Meistens bin ich schlapp am Strand, döse herum, lese den Band mit Frühwerken von Dostojewski -das einzige deutschsprachige Buch, das ich in Biskek auftreiben konnte-, und ich esse. Ich habe eine Riesenhunger! Bei fliegenden Händlern kaufe ich mir lokale Leckereien, in Fett gebackene Kartoffeltaschen, geräucherte Fische, Aprikosen, es sollen die besten der ganzen ehemaligen Sowietunion sein, was durchaus nachvollziehbar ist.

Doch mein Leben dort ändert sich abrupt, als nach dem zweiten Tag dort in die Pension eingebrochen wird. Einbruch ist ein zu starkes Wort für das Eindringen in diese Bretterbude, auch ich hätte den Einstieg geschafft. Ich bin mit der kompletten Familie beim Abendessen im Küchenschuppen, danach finde ich mein Zimmer durchwühlt, und das Fenster zur Straße hin offen. Mein Geldgürtel mit 150 $, 160 DM, zwei EC-Karten, dem Führerschein, der SEHR wichtigen Anmeldebestätigung für Kirgisien (OVIR-registration) und dem Flugticket fehlt. Ich bin mitten im Nirgendwo ... und habe nichts mehr!

Aber es ist nicht so, ich habe viel Glück im Unglück: Den Reisepass mit den Visa -die so schwer zu bekommen sind!- habe ich in der Hemdtasche, man muss ihn so häufig der korrupten Polizei zeigen, dass es nicht lohnt, ihn wegzustauen; Geld habe ich auch, etwa 270 Som, das sind so 12,30 DM. Das ist viel, aufgrund der Ungewissheit über die Verhältnisse in Tscholpon-Ata habe ich in der Hauptstadt so viel getauscht, und dann dieses Kleingeld im Geldbeutel behalten. Und dann bekomme ich noch 10 $ von meiner Wirtsfamilie zurück, die ich für die nächsten Tage angezahlt hatte. Aber es stellt sich dann heraus, dass dieser Schein in Zentralasien nicht in brauchbares Geld zu tauschen ist, da er schon etwas lädiert aussieht, erst in Berlin-Schönefeld kann ich ihn in DM verwandeln. Da bin ich wieder reich!

Die Polizei kommt mit sieben Personen wenige Minuten nach dem Entdecken des Einbruchs, aber sie interessiert sich mehr für meine persönlichen Kleinigkeiten als für den offensichtlich klaren Fall. Neben der Unterwäsche ist es besonders die Landkarte die sie interessiert. Mein Eindruck ist, dass sie keine Karte auf der Polizeistation haben, denn sie suchen eifrig nach der Gegend um Batken in Südkirgisien an der Grenze zu Tadschikistan, weil dort gerade Kämpfe mit usbekischen Moslemrebellen stattfinden, die kirgisischen Zeitungen sind voll davon. Die angebliche Zahl der Rebellen schwankt zwischen zwanzig und einigen Hundert, und im Laufe der Zeit werden es immer mehr. Ich bin nicht sicher, ob die Rebellen dem Präsidenten vor der anstehenden Wahl nicht gerade recht kommen. Da wird ein starker Mann gebraucht!

Am nächsten Tag rufe ich zuerst die deutsche Botschaft in Biskek an. Das geht! Irgendwie wird die Telefonleitung angezapft, und beim ersten Versuch meldet sich bereits ein Telefonfräulein auf deutsch, ich werde dann an einen sehr kompetenten Sachbearbeiter -meines Alters?- verbunden, der mich über alle Möglichkeiten aufklärt, die Eltern anruft um die EC-Karten sperren zu lassen, ... Ich bin froh, Bürger eines so wichtigen und reichen Landes zu sein, das auch mitten in der Pampa noch eine Botschaft unterhält. Was hätte ein Slovene an meiner Stelle gemacht? Danach bin ich endgültig beruhigt.

Und dann muss der Einbruch nochmals auf der Polizeistation aufgenommen werden. Es kommt zu komischen Szenen, sie verstehen weder Deutsch noch Englisch, können unsere lateinische Schrift nicht lesen; ich verstehe kein Russisch und kann auch kein Dokument lesen, auch nicht das abschließende Protokoll, das ich unterschreibe, aber es ist ein unterhaltsamer Vormittag. Das Innere der Polizeistation entspricht etwa dem, was man sich nach dem Anschauen von alten James-Bond Filmen vorstellt: kahl, schmucklos, gelackte Wände, offene Heizungsrohre, Schreibmaschinengeklapper, Wartebänke aus Holz auf dem schmalen Gang, Uniformierte die hin- und herlaufen und furchtbar wichtig sind, veraltete Telefone .... Ein sehr interessantes Erlebnis, etwas zu teuer bezahlt, dafür aber sehr realistisch.

Vier Tage muss ich noch aushalten, dann darf ich in den Bus nach Alma-Ata steigen, um Kirgisien zu verlassen. Meine Pensionsleute erlauben mir, ohne weitere Kosten bei ihnen zu wohnen, die schon bezahlten 10 $ entsprechen ja auch schon zwei Monatsgehältern. Ich versuche, immaterielle Dienste zu leisten: Mit den Mädchen lerne ich etwa zwei Stunden am Tag Englisch. Kia ist schon etwas zu alt, sie würde lieber von Bollywood hören - so spricht man dort die Filmstadt aus-, aber Tscholpon gibt sich große Mühe, ist auch intelligenter dazu. Mir macht es viel Spaß, und ich fühle mich nicht als Schmarotzer.

Neben ein paar kleinen Spaziergängen mache ich von Tscholpon-Ata aus eine GROSSE Wanderung in das nahe Gebirge (Alai-Tau). Immerhin sind die Gipfel zwischen 4000 und 5000 Metern hoch und vergletschert, Hochgebirge direkt an der Badeoase. Bis zum Gletscher stoße ich vor, auf den Bergwiesen weiden Pferde- und Schafherden, die weißen Jurten leuchten in der Sonne. Mehrmals begegne ich Hirten mit ihren Pferden, als Wanderer muss ich ihnen sehr suspekt sein: Einem Mann, der sich nicht einmal ein Pferd leisten kann - Wieso sollte er sonst zu Fuß gehen?-, wie kann man dem trauen? Es wird ein traumhafter Tag im wahrsten Sinn: Traumlandschaft, strahlendes Traumwetter, zeitlose und phantastische Menschen. Ich bin froh, gerade mit der Dunkelheit wieder nach Hause zu kommen.

Die Busreise nach Alma-Ata klappt -mit Tücken, mehrmals müssen alle Reisenden aussteigen um das klapprige Gefährt wieder in Gang zu bringen-, die Prüfung kommt erst am Busbahnhof in Alma-Ata. Ich habe kein kasachisches Geld. Die Wechselstube nimmt mein kirgisisches nicht an, meine Zehndollarnote auch nicht. Da ist guter Rat teuer, ich tausche von anderen Reisenden Kleinstbeträge (10 Pfennig!), um wenigstens den Anruf und die Busfahrt zu meiner Kontaktperson Leila bezahlen zu können. Mittlerweile bin ich Ungewissheit gewöhnt, so dass mir die Abenteuerlichkeit der Situation erst später klar wird.

Von Leila werde ich mit Kleingeld ausgestattet und kann so beruhigt in den Vorort zu Marat -dem Reise- und Bergführer- fahren. Die Ungewissheit hat ein Ende, die Zivilisation hat mich wieder, zumindest schon fast.

Mein Flug geht am Abend des darauf folgenden Tages, Marat (und Gunther und meine Eltern und Pulkovo Air) hat alles mit dem verlorenen Flugticket geklärt, also habe ich noch einen Tag frei. Marats vierzehnjährige Tochter -schon sooo erwachsen!- ist ganz wild auf eine Wanderung auf die Hügel über Alma-Ata, allein darf sie nicht aus dem Haus, da ergreift sie die Gelegenheit es doch zu tun. Ich bin für Spaziergänge immer zu haben, und dann kommt ihre jüngere Nichte auch noch mit. Die ersten Kilometer geht es durch ein aufgegebenes Industriegebiet, dann durch verwilderte Apfelgärten (Alma-Ata heißt Vater des Apfels). Als Mitteleuropäer weiß ich gar nicht mehr, wie verschieden Äpfel sein können, im Geschmack, in der Form, in der Konsistenz. Nie wieder werde ich so viele Äpfel an einem Tag essen, ich habe Vitaminmangel und Hunger, und der durchschnittliche Apfeldurchmesser ist bei vier Zentimetern! Der Blick auf die Stadt ist weit, aber nicht erhebend: Kilometerweit sovietische Häuserblöcke, aber die Lage am Nordrand des Alai-Tau-Gebirges mildert einiges. Beim Rückweg verwandelt sich meine schon sooo erwachsene Begleiterin doch noch in ein kleines Mädchen wie ihre Nichte: Sie MÜSSEN in ihrem Bach baden, ehr einem kleinen Wildflüsschen, das gefährlich verbaut durch die Industriebrache fließt. Kühn klettern sie am Ufer entlang, ich versuche immer, mir evtl. nötige Rettungsaktionen vorher zu überlegen. Später erfahre ich, dass sie dort natürlich nicht baden gehen dürfen. Aber es geht ja glücklicherweise alles gut.

Marat bringt mich in der Nacht zum Flughafen. Ich glaube, auch er ist froh, wieder einmal alle Klienten gesund verabschiedet zu haben. Der Flug ist ein Heimspiel in der Zivilisation, das Essen (Fleisch!) ist sehr lecker. Interessant ist nochmal das Umsteigen in St. Petersburg. Dieses Mal werde ich durch den Zoll und die Einreiseformalitäten geschickt, um dann sofort an der anderen Seite des Gebäudes bei der Ausreise wieder hineinzugehen. Dabei habe ich doch gar kein Visum für Russland und für die 150 Meter rund um das Terminal. So ganz ausgegoren sind die Bestimmungen in den Nachfolgestaaten der Sowietunion doch noch nicht.

Am frühen Vormittag lande ich in Berlin-Schönefeld. Ich bin unglaublich froh, wieder zuhause zu sein! Bei Gunther muss ich erst mal für 13 DM Brötchen und Wurst essen (Kein Witz!). Per Mitfahrgelegenheit komme ich im Laufe der nächsten Nacht endgültig heim nach Heidelberg. Auch das ist nochmals ein Erlebnis: Der Fahrer Michael (in meinem Alter) kommt von seinem gerade erworbenem Schloss aus Brandenburg, ein anderer Mitfahrer ist bekennender Drogensüchtiger. Interessant!

Nach den Entbehrungen der Reise -ich wiege fünf Kilo weniger als vorher, und das schon nach der Erholungsphase am See- esse ich wie ein Wilder: Innerhalb von zwei Wochen nehme ich zehn Kilo zu - noch nie war er so dick wie heute-, um dieses Übergewicht dann innerhalb von drei Monaten langsam wieder abzugeben.